Radikalisierung und Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung sind Folge einer Diskussionskultur, die zunehmend auf Etikettierung und Kategorisierung setzt statt auf den Austausch von Argumenten in der Sache. Kritik oder schon kritische Fragen werden nicht zugelassen, sondern als Ausdruck einer bestimmten Haltung bewertet und der Fragesteller damit diskreditiert. Wer derzeit nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie fragt, wird sogleich als Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker oder gleich als rechtsradikal abgestempelt. Wenn das noch nicht reicht, nimmt man gar billigend das Massensterben vor allem älterer Menschen in Kauf und beweist seine zutiefst sozialdarwinistische Einstellung.

Die Frage, ob die jederzeitige Versorgungssicherheit der Stromversorgung durch die zunehmende Wetterabhängigkeit der Erzeugungskapazitäten gewährleistet ist, führt unmittelbar zur Einordnung des Fragestellers als Klimawandelleugner oder Windkraftgegner. Ausländer-feindlich und damit rechtsradikal ist jeder, der nur dazu anregt, über die Folgen illegaler Zuwanderung nachzudenken - wobei die Bezeichnung "illegal” an sich schon Ausdruck einer xenophoben Grundhaltung ist. Ob Quotenregelungen oder Arbeitsschutzbestimmungen, Effizienz oder Verteilungswirkungen von Sozialleistungen - jede Diskussion in der Sache wird im Keim erstickt und zur Glaubens- oder Haltungsfrage hochstilisiert.
Der parlamentarischen Demokratie wird damit jedoch der Boden entzogen. Der politische Diskurs, die Auseinandersetzung in der Sache durch Austausch von Argumenten auf der Suche nach den besten Lösungen, letztlich der Kompromiss durch Abwägen aller unterschiedlichen Interessen gewährleistet das friedliche Zusammenleben aller in unserer Gesellschaft. Die zunehmende Verweigerung dieses Diskurses, der Mangel an Kompromiss und Konsens führt zu einer immer stärkeren Polarisierung, letztlich auch einer Radikalisierung immer breiterer gesellschaftlicher Gruppen. Die Hinwendung zu extremen bzw. populistischen Parteien oder die steigende Beliebtheit autokratischer Führungen sind Ausdruck dieser Entwicklung.
Zurück zum Diskurs ist die einzige Möglichkeit, dieser Entwicklung zu begegnen - verbales Abrüsten und Respekt vor der Meinung anderer sind die ersten Schritte.

Die parlamentarische Demokratie ist nicht nur durch Extremismus gefährdet, wie stets behauptet wird, sondern gefährdet sich mindestens in gleichem Maße selbst durch die Art und Weise, wie dieser Extremismus bekämpft wird.

Für den Vorstand
gez.
Martin Mölders, Vorsitzender FDP-Ilm-Kreis